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«Unsere Zeit ist versexualisiert»

Oberegg. Der Pfarrer Johann Kühnis ist seit 25 Jahren als Seelsorger in Oberegg tätig. Sein Beruf konfrontiert den 70-Jährigen oftmals mit Sonnen- und Schattenseiten des Lebens.

Im Jahre 1970 trat Johann Kühnis als Kaplan seinen Dienst in Widnau an; dort blieb er insgesamt elf Jahre. Als die Stelle in Oberegg frei wurde, bekam der heute 70-Jährige die Zusage und zog auch gleich in den Bezirk. Seither leitet er in Oberegg Gottesdienste, führt die Leute durch Hochzeiten, durch Trauerfeiern und hat stets ein offenes Ohr für seine Mitmenschen.

Mangelnde Vorbilder
Ein Vierteljahrhundert übt der Seelsorger seinen Beruf schon aus – die Zeit ist geprägt von guten und weniger guten Ereignissen; als Pfarrer muss man sich immer wieder auf neue Menschen und deren Schicksale einstellen. Vor allem die Entwicklung der Jugendlichen findet Kühnis bedenklich. «Als Religionslehrer komme ich häufig in Kontakt mit jungen Leuten», sagt er und kommt dabei auf die schockierenden Meldungen über sexuelle Missbräuche und Gewalt an Schulen zu sprechen. «Unsere Zeit ist allgemein versexualisiert», sagt er, «über Sex wird heutzutage gleich geredet wie über das Essen oder Trinken. Das stachelt die jungen Leute an.»

Aber nicht nur die sexuellen Übergriffe, sondern auch die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen, lassen sich seiner Meinung nach auf die fehlende Vorbildshaltung Erwachsener zurückführen. Die Verantwortung gehe immer mehr verloren.

Bedingung: Verantwortung übernehmen
Verantwortung ist auch das Stichwort für Kühnis bei dem Thema Sex vor der Ehe. Kürzlich wurde das Thema von den Medien aufgegriffen und der Pfarrer Hansruedi Felix aus St.Gallen zitiert. «Sex und Gott lassen sich sehr gut vereinbaren. Sex vor der Ehe ist eine Grundbedingung», mit diesen Statements brachte er viele zum Staunen. Kühnis sieht diesem Thema differenziert entgegen: «Bedingung ist, dass Verantwortung übernommen wird und die betreffenden Personen ernst genommen werden.»

Die richtigen Worte
Johann Kühnis knüpft an seine Amtszeit viele schöne Erinnerungen wie die kirchlichen Feiern oder die erfolgreiche Renovation der Kirche, die gesamthaft eineinhalb Jahre gedauert hat und viel Unterstützung von den Bewohnern erhielt. «Auch eine Beerdigung kann ein ’schönes Erlebnis› sein», sagt er. Beispielsweise wenn er merke, dass er dir richtigen Worte gefunden habe, um den Angehörigen ein klein wenig Trost zu spenden. Negative Erfahrungen sieht er in seinen Einsätzen, wenn diese keine Früchte tragen. Das sind beispielsweise junge Leute, die auf Abwege geraten sind, Scheidungen von Leuten, die er getraut hat oder tragische Unfälle, die junge Leute aus dem Leben reissen.

So erinnert sich Kühnis an einen schrecklichen Unfall. «Die Polizei und ich mussten damals die Eltern aus dem Schlaf reissen und ihnen mitteilen, dass ihr Sohn tödlich verunglückt ist.» Solche Ereignisse gehören zu dem Beruf dazu. Man muss sie ernst nehmen – aber sie auch verarbeiten. «Ich musste lernen, mit solchen Erfahrungen zu leben, um damit umgehen zu können.»

Schnelles Umstellen gefragt
Als Kühnis noch in Widnau tätig war, wurde er an eine Unfallstelle mit tödlich verletzten Personen gerufen. Der Frontalzusammenstoss zweier Autos forderte Menschenleben. «Meine Aufgabe ist es, mit den Leuten – auch mit Sterbenden – zu reden und sie zu betreuen. Ich bin überzeugt, dass das Gehör noch am längsten funktioniert und finde es enorm wichtig, einen Menschen in dieser Schicksalsstunde nicht allein zu lassen.» Zehn Minuten später musste er sich auf den Weg zur Kirche machen; da wartete bereits ein Ehepaar, das getraut werden wollte, auf ihn.

Trotz seinen 70 Jahren denkt Johann Kühnis nicht an Pensionierung: «Das wäre mir zu langweilig.» Seinen nicht immer ganz einfachen Beruf würde er jederzeit wieder wählen. «Solange ich gesund bin, werde ich weitermachen.»

Appenzell InnerrhodenAppenzell Innerrhoden / 21.12.2006 - 16:48:00