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Mann ohne Widerstand

AI. Der Innerrhoder Vollblutpolitiker und abtretende Ständerat Carlo Schmid kehrt nach Hause zurück.

Als «der jüngste Greis der Schweiz» wurde er einst von links beschimpft. Als Beschmutzer der katholischen Kirche wird er heute von einigen Ewiggestrigen verunglimpft. Das beweist nur: Carlo Schmid, der abtretende Ständerat aus Appenzell Innerrhoden, hat stets gesagt, was er denkt und stets gedacht, was er sagt. Eine Einschätzung über den Mann, der in seiner Heimat nur unter einem leidet: Zu wenig intelligenten Widerstand.

Ein intelligenter Mann
Carlo Schmid ist ein sehr intelligenter Mann. Und solche Leute haben im Alltag ihre Probleme. Sie bringen beispielsweise nur selten Geduld auf gegenüber weniger intelligenten Leuten. Sie mögen sich nicht mit schlecht durchdachten Argumenten aufhalten. Ihre Zeit ist ihnen zu wertvoll für Auseinandersetzungen mit unvorbereiteten Gegnern.

Das (oberflächliche) Ergebnis ist eine Aura der Arroganz, der Überheblichkeit, der Divenhaftigkeit. Damit lebt Carlo Schmid seit bald drei Jahrzehnten. Wer mit 30 Jahren in den Ständerat und wenige Jahre später in die Standeskommission (Regierung) gewählt wird, der hat wenig Grund, an sich und seinen Fähigkeiten zu zweifeln.

Klarer Führungsanspruch
Wer eine Parlamentsdebatte im Innerrhoder Grossen Rat besucht, verlässt diese vielleicht mit keinem allzu positiven Bild von Schmid. Der stillstehende (stellvertretende) Landammann und Erziehungsdirektor geht mit seinen politischen Gegnern unzimperlich um, aber er fährt auch politische Freunde hart an, wenn sie nach seinem Massstab Unsinniges fragen oder fordern. Ohne zu zögern kann er auch schon einmal einem Regierungskollegen ins Wort fallen und dessen Argumentationskette weiterführen, wenn dieser nicht auf den Punkt kommt.

Schmid bildet zusammen mit dem regierenden Landammann Bruno Koster und dem inzwischen abgetretenen Säckelmeister Paul Wyser unwidersprochen die Innerrhoder Führungsriege; die restlichen Regierungskollegen stehen in ihrem Schatten. Aus diesem Führungsanspruch hat Carlo Schmid nie einen Hehl gemacht.

Aber wer Carlo Schmids Umgang mit dem Parlament bewertet, sollte zuallererst eben dieses Parlament beurteilen. Es bleibt der Eindruck: Schmid würde noch so gerne kreativ streiten, er wäre durchaus bereit, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen, er hält so lange wie möglich an seiner Ansicht fest, ist aber kein Dogmatiker.

Nur: Im Grossen Rat bietet ihm so gut wie niemand Paroli. Viele sind nach dem ersten verbalen Aufeinandertreffen mit dem kernig formulierenden CVP-Mann dermassen verschüchtert, dass sie nie wieder das Wort ergreifen zu einem Geschäft, zu dem Schmid sich äussern könnte. Und er äussert sich gerne zu allem und jedem, über Departementsgrenzen hinaus.

Keine Windfahne
Natürlich ist Carlo Schmid ein Konservativer. Natürlich liebt er die Traditionen. Und natürlich braucht, wer ihn in einer Sache vom Gegenteil überzeugen will, einen langen Atem. Aber wenn er zur Einsicht kommt, dass sich die Verhältnisse geändert haben, zögert der Oberegger auch nicht, scheinbar absolut felsenfeste Ansichten über Bord zu werfen. So ging er beispielsweise kürzlich mit der katholischen Kirche hart ins Gericht, forderte Frauen im Priesteramt und die Aufhebung des Zölibats.

Nun kam die Kritik von der Seite, die Schmid stets wohlgesonnen war, und wieder reagierte der Jurist ruhig und abgeklärt. Er stand so konsequent zu seinen neuen Einsichten wie er Jahre zuvor noch dem traditionellen Katholizismus ohne Wenn und Aber das Wort geredet hatte. Carlo Schmid ist das Fleisch gewordene Gegenteil von dem, was in der Politik als «Windfahne» bezeichnet wird. Der Mann wäre gerne Bundesrat geworden, musste seine Ambitionen aber nach einer Kurzkarriere als CVP-Präsident begraben. Es ist sehr die Frage, ob er in diesem Amt glücklich geworden wäre. Schmid ist ein Alphatier. Er funktioniert in einer Kollegialbehörde wie der Standeskommission, in der er unangefochten an der Spitze steht, sehr gut. Im Bundesrat hingegen hätte er sich mit weiteren Alphatieren mit völlig anderer Ideologie um Grundsätzliches streiten müssen, strategische Überlegungen wären den sachlichen Ansätzen immer wieder im Wege gestanden. Das ist nicht die Welt des Carlo Schmid.

Verhinderter Bundesrat
Heute hingegen sieht die Sache etwas anders aus. Bundesrat Christoph Blocher hält die Landesregierung mit Mitberichten, visionären Vorschlägen und gnadenlosen Aufräumaktionen im eigenen Departement auf Trab. In diesem Umfeld würde auch Schmids Arbeitsweise auf fruchtbaren Boden fallen, heute könnte er vom Aufbruch der verkrusteten Strukturen profitieren. Natürlich: Die Polittradition der Schweiz verbietet es, einen alt Ständerat noch einmal zum Bundesrat auszurufen. Man setzt stattdessen lieber auf Showeffekte wie die Wahl von Doris Leuthard, von der bis heute niemand weiss, was sie für die Aufgaben einer Volkswirtschaftsministerin prädestiniert. Leuthard hat keine Kanten, und wenn sie ausnahmsweise versucht, sich profiliert zu äussern, kann man sicher sein, dass sie beim ersten Anflug von Widerstand die Krallen wieder einzieht. Schmid hingegen wird besser und klarer, je grösser der Widerstand ist. Nun ist er «nur noch» auf kantonaler Ebene tätig. Vier Jahre werde er noch im Amt bleiben, sind viele überzeugt, hinter den Kulissen arbeite er am Aufbau der Person, die er sich in seinen Fussstapfen wünscht. Andere sind nicht bereit zur Prognose, denn Carlo Schmid lässt sich nicht «lesen», und mit Sicherheit tut er nichts, weil ihn andere dazu direkt oder indirekt auffordern. Ihm den Abgang von der kantonalen Bühne nahe zu legen – was in Innerrhoden kein Mensch jemals ernsthaft täte – wäre die Garantie für Schmids Verbleib.

Väter des «Wunders»
Wer das Wohl des Halbkantons im Auge hat, wünscht sich ohnehin, dass Schmid noch etwas Sitzleder hat. Paul Wyser ist bereits gegangen, der Unternehmer Bruno Koster wird wohl auch nicht bis in alle Zeiten in der Regierung bleiben. Hier zeichnet sich ein Vakuum ab, ein Vakuum des politischen Naturinstinkts, der Erfahrung. Wenn das bisherige Triumvirat irgendwann in globo nicht mehr der Regierung angehört, wird vieles von dem, was heute selbstverständlich ist, vage, unsicher. Innerrhoden wurde in den letzten Jahren als Schweizer Wunderkind gefeiert, aber das Wunder war in Wahrheit harte Arbeit, und das Kind muss allmählich auf eigenen Beinen stehen. Wenn alle Väter des Wunders verschwunden ist, wird das nicht einfacher sein.

Anfang April war Carlo Schmid zu Gast in Gossau. Dort wurde er gefragt, was er veranlassen würde, wenn er in Gossau das Sagen hätte. Die Landsgemeinde würde er einführen, so der Politiker. Es war natürlich eine Bemerkung, die spontane Lacher zum Ziel hatte. Ebenso klar ist aber, dass es Schmid absolut ernst war. Er hält die Landsgemeinde dort, wo sie organisatorisch möglich ist, für das beste Instrument der Demokratie.

Wer sich Jahr für Jahr unter freiem Himmel und Auge in Auge dem Diktat des Volkes stellt, der hat keine monarchistischen Züge, auch wenn in Innerrhoden oft von «König Carlo» die Rede ist. Der «König», das die rein subjektive Einschätzung, hätte gerne öfter Widerspruch aus den Reihen seiner «Untertanen». Gezielten, intelligenten Widerspruch. Es bleiben noch einige Jahre, dem König das zu geben, was dem König gebührt.

Appenzell InnerrhodenAppenzell Innerrhoden / 04.05.2007 - 12:00:00