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Kapo Bern: Menschenhandel – Machtmissbrauch und Ausbeutung

Die meisten von uns begegnen dem Thema Menschenhandel vielleicht ab und zu in Kinofilmen. Es ist aber kein Relikt aus der Vergangenheit: Auch hier und heute haben wir mit der Ausbeutung von Menschen zu tun, sozusagen mit moderner Sklaverei.

Aber wie erkennen wir Menschenhandel und wie können wir dagegen vorgehen?

Menschenhandel, was bedeutet das überhaupt? Kurz gesagt: Wenn jemand seine Machtposition ausnutzt, um einer anderen Person ihr Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen, über sie zu verfügen wie über einen Gegenstand und sie auszubeuten, dann sprechen wir von Menschenhandel. Und den gibt es auch in der Schweiz, wie einer der grössten bekannten Fälle von Menschenhandel aus dem Kanton Bern zeigt: Eine Thailänderin hatte systematisch Frauen und Männer aus ärmlichen Verhältnissen von Thailand in die Schweiz vermittelt, ihnen die Visa, Flugtickets und andere „nötigen Papiere“ besorgt – und dies dann auch verrechnet.

In der Schweiz mussten die Opfer einen Betrag zwischen 30’000 und 60’000 Franken durch Prostitution abzahlen. Die Prostituierten mussten ihren gesamten Verdienst an die Betreiberinnen der Salons abgeben. Die Hälfte davon behielten die Betreiberinnen ein und mit den verbleibenden Einkünften wurden die auferlegten „Reiseschulden“ abbezahlt. Die Opfer wurden bei der Prostitutionstätigkeit überwacht, mussten sich 24 Stunden am Tag bereithalten. Sie konnten keine unserer Landessprachen sprechen geschweige denn verstehen. Diese Menschen konnten sich nicht frei bewegen und auch nicht frei handeln.

Druck und Drohungen

Grundsätzlich gilt: Jede Person hat das Recht, mit ihrem Körper zu machen, was sie will. Unsere Aufgabe vonseiten der Polizei besteht darin, zu erkennen, ob sich die Sexarbeitenden unter (psychischem oder physischem) Druck prostituieren. Deshalb führen wir Kontrollen durch.

Nebst Schulden, Überwachung und physischem Zwang können auch die Familien der Opfer als Druckmittel eingesetzt werden. Wer Menschen in die Schweiz bringt, um sie hier auszubeuten, hatte zuvor vor Ort teils Kontakt zu deren Angehörigen. Weigern sich die hier festgehaltenen Personen, die Anweisungen zu befolgen, droht man ihnen mit Gewalttätigkeiten gegen ihre Familie. Oder man sagt ihnen, dass sie dort verstossen würden, wenn sie kein Geld mehr verdienen.

Es kann sogar vorkommen, dass Familienmitglieder – zum Beispiel Ehemänner in Osteuropa – die Frauen selbst in die Schweiz bringen oder bringen lassen, damit sie von deren Verdienst profitieren können.

Um zu handeln, muss man die Tat erkennen

Die oben erwähnte Vermittlerin aus Thailand wurde schliesslich durch die Kantonspolizei Bern gefasst und vor Gericht zu 10½ Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zu Beginn der Ermittlungen ist jedoch oft noch nicht klar, ob tatsächlich Menschenhandel vorliegt oder ob andere Straftatbestände zutreffen, wie etwa Förderung zur Prostitution, Nötigung oder Freiheitsberaubung.

Manchmal sind sich selbst die Betroffenen nicht bewusst, dass sie Opfer von Menschenhandel sind: Zwar müssen sie sich prostituieren oder werden als Arbeitskraft ausgebeutet – aber dennoch leben sie in der Schweiz unter besseren finanziellen Bedingungen als in ihrem Herkunftsland.

Ohne die Aussagen des Opfers ist allerdings in der Regel keine Strafverfolgung gegen die Täterinnen und Täter möglich, da das Opfer sozusagen „Kronzeugin oder Kronzeuge in eigener Sache“ ist und somit den wichtigsten Beweis beiträgt.

Ohne Vertrauen geht es nicht

Diese Aussagen zu erhalten, ist aber gar nicht so einfach. Viele der Frauen hatten in ihren Heimatländern ein schwieriges Verhältnis zur Polizei und dementsprechend misstrauisch sind sie auch uns gegenüber. Deshalb umfasst die Aufklärung von Menschenhandel nicht nur die Strafverfolgung, sondern ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren.

Zentral sind zu jeder Zeit die Betreuung und der Schutz der Opfer. Verschiedene Fachstellen setzen sich für die Opfer ein und begleiten sie während des Strafverfahrens. So wissen die Opfer, was in der Erstbefragung und in einem Ermittlungsverfahren auf sie zukommt und wie sie hier geschützt werden können.

Die für die Opfer schwierigen Befragungen werden durch besonders geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kantonspolizei Bern mit dem nötigen Fingerspitzengefühl durchgeführt. Die Betroffenen haben jederzeit das Recht, zu sagen, dass sie sich keinem Ermittlungsverfahren stellen möchten.

Perspektiven für eine Zukunft nach der Ausbeutung

Wer im Herkunftsland in Gefahr ist, kann nach dem Abschluss des Verfahrens in speziellen Fällen eine neue Identität erhalten, um ein freies Leben in der Schweiz zu beginnen. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen geben Frauen die Chance, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen: Eine Schneiderin kann zum Beispiel das Startkapital für das nötige Material erhalten, um in ihrem Beruf arbeiten zu können.

Manche Frauen ziehen es aber vor, die Schweiz zu verlassen, noch bevor das Verfahren abgeschlossen ist.

Zusammenarbeit ist der Schlüssel

Wir können Menschenhandel nur gemeinsam mit verschiedenen Partnern erfolgreich bekämpfen. Polizei und Justiz sind für die Strafverfolgung und den Schutz der Opfer zuständig. Letzteres ist nur in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachstellen und Migrationsbehörden möglich.

Zudem ist das Problem oft länderübergreifend. Je nach Konstellation gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Behörden unterschiedlich: Mit manchen Ländern ist die Kooperation sehr schwierig – insbesondere, wenn Korruption im Spiel ist. Mit anderen läuft ein Verfahren problemlos.

So oder so: Die Mühen lohnen sich für jeden Menschen, der in ein freies und selbstbestimmtes Leben zurückkehren kann.

 

Quelle: Blog der Kapo Bern
Titelbild: Symbolbild © Jirawatfoto – shutterstock.com

AargauAargau / 06.10.2022 - 10:50:30