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Gewalterfahrungen unter Jugendlichen sind verbreitet

St.Gallen. Rund 26 Prozent aller Schülerinnen und Schüler der dritten Oberstufenklassen geben an, in ihrem bisherigen Leben mindestens einmal eine Gewalttat (Körperverletzung, Gruppenschlägerei, Raub oder sexuelle Gewalt) begangen zu haben.

Dabei ist der Täter knapp dreimal häufiger männlich als weiblich. Dies sind die zentralen Aussagen eines Forschungsberichts des Kriminologischen Instituts der Universität Zürich, der heute durch die Vorsteherin des Sicherheits- und Justizdepartementes, Regierungsrätin Karin Keller-Sutter, und den Vorsteher des Bildungsdepartementes, Regierungsrat Stefan Kölliker, der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Das Sicherheits- und Justizdepartement sowie das Bildungsdepartement haben im Januar 2008 das Kriminologische Institut der Universität Zürich mit einer wissenschaftlichen Studie beauftragt, in der das Ausmass der Jugenddelinquenz inner- und ausserhalb der Schule erhoben werden sollte. Im Weiteren wurde nach möglichen Ursachen und Einflussfaktoren der Jugendgewalt gesucht. Für die Forschungsstudie wurden im ersten Quartal 2008 alle damaligen Schülerinnen und Schüler der dritten Oberstufenklassen im Kanton St.Gallen elektronisch mittels internet-basiertem Fragebogen anonym befragt.

Gewalttaten vorwiegend im öffentlichen Raum

Professor Martin Killias (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Zürich) als wissenschaftlicher Forschungsleiter sowie Simone Walser als Projektleiterin und Berichtsverfasserin konnten an der heutigen Medienkonferenz eine ausgesprochen repräsentative Studie präsentieren. Auswertbar waren 5’200 Fragebogen, was 83 Prozent aller Jugendlichen des neunten Schuljahres entspricht. Erfragt wurden sowohl die selbst begangenen als auch die erlittenen Gewalttaten. Mit 26 Prozent aller Jugendlichen, die in ihrem bisherigen Leben zumindest einmal eine Gewalttat begangen haben, liegt die Rate deutlich höher als in den amtlichen Statistiken, die lediglich die zur Anzeige gebrachten Delikte enthalten. Die Zahl korreliert erstaunlich gut mit den Opfererfahrungen: Rund 29 Prozent der Jugendlichen geben an, in ihrem bisherigen Leben zumindest einmal Opfer einer Gewalttat geworden zu sein.

Für die Prävention ist es wichtig zu wissen, wo, wann und wie Gewaltdelikte ausgeübt werden. Dabei zeigt sich, dass der grösste Teil der Delikte, nämlich rund 73 Prozent, im öffentlichen Raum begangen werden: auf der Strasse, auf Plätzen, an Bahnhöfen, an Parties, in Restaurants, in Shoppingcenters usw. Der Anteil der Delikte, die an der Schule verübt werden, ist mit 16 Prozent vergleichsweise tief. Eine nähere Analyse der Tageszeiten, zu denen Gewaltdelikte verübt werden, zeigt, dass abends oder nachts (nach 20 Uhr) überproportional viele Gewaltdelikte begangen werden, mehr Gewaltdelikte in Gruppen sowie unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen verübt werden und vermehrter Waffengebrauch festzustellen ist.

Ursachen und Einflussfaktoren

Die Ergebnisse der für den Kanton St.Gallen durchgeführten Forschungsstudie sind bezüglich Häufigkeit der Delikte mit den Ergebnissen anderer Kantone und einer gesamtschweizerischen Studie grundsätzlich vergleichbar. Auf der Suche nach Ursachen und Einflussfaktoren entdeckte die Forschungsstudie indessen einige wesentliche Zusammenhänge, die in dieser Form erstmals präsentiert werden. Es zeigt sich, dass die Jugendgewalt korreliert mit unvollständiger Familie, Migrationshintergrund, schwachen Schulleistungen, geringer elterlicher Kontrolle, häufigen abendlichen Ausgängen, Konsum von Alkohol oder Drogen sowie mit Unzuverlässigkeiten im schulischen Bereich. Demgegenüber ist insbesondere eine „klassische“ Familienzusammensetzung, verbunden mit klaren elterlichen Regeln, ein eindeutiger Schutzfaktor: Jugendliche, deren Eltern wissen, mit wem und wohin ihre Kinder abends ausgehen und die mit ihren Kindern Rückkehrzeiten fix vereinbaren, sind signifikant weniger gewalttätig.

Gefordert sind Staat und Familie
Regierungsrätin Karin Keller-Sutter, Vorsteherin des Sicherheits- und Justizdepartementes, zieht aus der Forschungsstudie drei Schlussfolgerungen. Erstens: Wenn bei Gewaltdelikten Jugendlicher der öffentliche Raum im Vordergrund steht, ist es primär die Aufgabe von Polizei und Strafverfolgungsbehörden, hier für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit zu sorgen. Dies setzt eine ausreichende Dotation der Polizeikräfte voraus, aber auch zweckmässige Konzepte für Prävention, Ermittlung und Strafverfolgung. Der Kanton St.Gallen ist in diesem Bereich mit der vom Kantonsrat bewilligten Erhöhung des Korpsbestandes, mit dem polizeilichen Jugenddienst sowie mit interdisziplinär zusammengesetzten Jugendanwaltschaften grundsätzlich gut „aufgestellt“. Eine zweite Erkenntnis ist, dass bei der Jugendgewalt ein Migrationsproblem besteht. Gefordert sind hier staatliche Integrationsbemühungen, aber auch – im Rahmen der Verhältnismässigkeit – ausländerrechtliche Konsequenzen. Und drittens hält die Sicherheits- und Justizdirektorin mit Blick auf die Feststellung, dass die Familie und ein geordnetes soziales Umfeld grundsätzlich positive Faktoren bilden, fest: Im Zentrum steht die Eigenverantwortung von Individuum und Gemeinschaft. Staatliche Organe und Behörden können höchstens „nachbessernd“ und ergänzend tätig werden, wo das soziale Umfeld Fehlentwicklungen nicht verhindern konnte.

Positive emotionale Bindungen zur Schule gestalten

Regierungsrat Stefan Kölliker, Vorsteher des Bildungsdepartementes, stellt fest, dass die emotionale Bindung von Jugendlichen an die Schule sich als wichtigster schulischer Einflussfaktor erweist. Je besser die Einstellung von Jugendlichen zur Schule ist, das heisst je stärker Jugendliche die Schule mögen, desto tiefer ist das Risiko von Gewaltanwendung in- und ausserhalb der Schule. Hier kann die Schule einen wichtigen Beitrag zur Gewaltverminderung leisten. Dies zum einen, in dem in den Schulen klare Verhaltensregeln aufgestellt werden und diese dann auch konsequent durchgesetzt werden. Denn Regeln wirken sich nur positiv aus, wenn sie eingehalten und durchgesetzt werden. Das Bildungsdepartment will zudem im kommenden Jahr ein Präventionskonzept entwickeln und die bereits laufenden Projekte wie  das Programm „sicher!gsund!“ mit verschiedenen Materialien und Fachtagungen zur Weiterbildung für Lehrpersonen, das Gewaltpräventionsprojekt „Faustlos“ der Kindergarten- und Unterstufe und das Suchtpräventionsprogramm „Freelance“ auf der Oberstufe weiter durchführen.

Der Vorsteher des Bildungsdepartements sieht auch im Bereich des Sports Handlungsbedarf, da die Studie ernüchternd feststellt, dass Sport kaum präventive Wirkung auf das Gewaltverhalten hat. Im Bereich des Schulsports und der Veranstaltungen von Jugend und Sport sollen Regeln verstärkt eingehalten werden.

Weiteres Vorgehen
Die Forschungsstudie dient den kantonalen Departementen als Grundlage für die Bearbeitung der parlamentarischen Vorstösse zur Jugendgewalt, die in der Junisession 2008 überwiesen wurden. Wo aufgrund des jetzt vorliegenden Forschungsberichts allenfalls noch Lücken bestehen, werden diese analysiert und zuhanden des Kantonsrates aufgezeigt. Das Sicherheits- und Justizdepartement sowie das Bildungsdepartement beabsichtigen, diese Postulatsberichte gegen Ende dieses Jahres dem Kantonsrat zu unterbreiten.

St.GallenSt.Gallen / 24.08.2009 - 15:22:56