
Wo bleibt der Widerstand?
Der Streit um Flur- und Ortsnamen in Innerrhoden ist weit mehr als Nostalgie. Es geht um handfeste wirtschaftliche Vorteile, die verspielt werden.
Es ist absurd: Da bemüht sich Appenzell Innerrhoden, mit einer offensiven Steuerpolitik und ausgeprägter Wirtschaftsfreundlichkeit, als Standort wettbewerbsfähig zu bleiben. Der ausgeprägteste Standortvorteil überhaupt aber wird nicht einmal ansatzweise verteidigt. Die Rede ist von der «Marke» Appenzell und der Tatsache, dass diese von regulierungswütigen Bürokraten in Bern derzeit gerade attackiert wird. Und das «offizielle» Innerrhoden kann sich nicht zum aktiven Widerstand durchringen.
Man mag es belächeln, dass einer, der geografisch in Steinegg wohnt, so verzweifelt an der postalischen Bezeichnung Appenzell festhalten will. Ein Beitrag in der «Rundschau» auf SF1 verniedlichte dieses Verhalten denn auch als seltsame nostalgische und heimatschützlerische Anwandlungen. Ein Irrtum. Denn: Ein Produkt, das offiziell mit der Bezeichnung «Appenzell» geadelt wird, kann am Markt kaum scheitern. Nur in der Marke «Appenzell» vereinen sich so unterschiedliche Attribute wie Seriosität und Exotik, Zuverlässigkeit und Andersartigkeit, Tradition und modernes Können. Das sind Werte, von denen jeder Marketingfachmann nur träumen kann. Und Appenzell hat sie kostenlos.
Noch gibt es keine Studie dazu, doch die Wette gilt: Ein Glas hausgemachter Konfitüre, «made in Appenzell», ist auf dem Markt um Faktor X wertvoller als das identische Produkt «made in Meistersrüte». Was mit Appenzell verbunden wird, kann nicht schlecht sein: Diese Überzeugung teilen viele Konsumenten. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Alle schwärmen sie davon, ob Amerikaner oder Japaner. Die Berge, die grünen Wiesen, die Leute mit ihrer eigenen, aber stets freundlichen Art: Es sind oft Klischees, aber es sind verkaufsfördernde Klischees.
Und nun ist dieser kostenlose Standortvorteil in Gefahr. Weil die kleine Schweiz so furchtbar unübersichtlich und chaotisch ist und Strassennamen in Innerrhoden unbedingt gleich aufgebaut sein müssen wie im Jura oder in Basel-Land. Und weil die Volkszählung 2010 am 15’000-Seelen-Völklein am Alpstein zu scheitern droht. Verrückt? – Natürlich. Aber die Bundesverwaltung hat die Daueraufgabe, ihre Existenzberechtigung zu beweisen. Hat man keine Arbeit, so beschafft man sich welche.
Das Verhalten in Bundes-Bern muss uns deshalb nicht weiter verwundern. Seltsam ist aber, dass der Widerstand in Innerrhoden nicht grösser ist. Eine mutige Grossrätin, ein entschlossener Bauer und Gastwirt, einige Lokalpolitiker sowie viele «einfache» Bürger sind es, die sich das alles nicht gefallen lassen und den Aufstand proben. Doch ihnen gegenüber steht nicht «Bern», sondern stehen die kantonalen Behörden, welche die Ideen aus Bern vollziehen.
Selbst ohne die Verhandlungen hinter den Kulissen zu kennen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Hier wurde nicht mit aller Entschiedenheit gekämpft. Gab es tatsächlich keinen noch so minimalen Spielraum? Es passt nicht zu Innerrhoden, dass Anordnungen ganz einfach umgesetzt werden. Kritisch hinterfragen, ein gesundes Misstrauen, im schlimmsten Fall auch Ungehorsam: Das war stets der Charakter des Halbkantons. Und darauf basiert auch der Erfolg der letzten Jahre.
Es wäre übrigens ein verheerender Irrtum zu glauben, die Frage betreffe nur einige einzelne Ortschaften. Wird die Marke Appenzell ausgedünnt, trifft das den ganzen Kanton empfindlich. Umso erstaunlicher, dass sich Parteien und Verbände bisher vornehm zurückhielten.
Immerhin: Ganz zufällig erreicht die Debatte ihren Höhepunkt kurz vor der Landsgemeinde. Dafür ist sie da, diese direktdemokratische Versammlung: Um nötigenfalls zu korrigieren, was zuvor verpasst wurde.
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