
«Bund hat Probleme unter den Teppich gekehrt»
St. Gallen. Der abtretende St. Galler Wirtschaftsethiker Peter Ulrich zieht in einem Interview mit der «Südostschweiz» eine kritische Bilanz.
Ulrich geht Ende Juli in den Ruhestand. Seine Nachfolge dürfte noch für heftige Diskussionen sorgen.
Am 5. Mai hält der Gründungsdirektor des Instituts für Wirtschaftsethik (IWE) an der Universtität St. Gallen (HSG) seine Abschiedsvorlesung mit einer «tour d’horizon zur aktuellen politisch-ökonomischen Problemlage». In der «Südostschweiz» von heute stellt sich Ulrich nochmals hinter seinen Vizedirektor Ulrich Thielemann und verteidigt sein Institut.
Wirtschaftsethik verliere ihren Sinn, wenn auch sie noch ökonomisch instrumentalisiert werde. «Immerhin haben wir 20 Jahre lang die Vermittlung zwischen Markt und Moral geschafft, ohne unsere professionelle Haltung als Ethiker zu verraten», sagt Ulrich.
Protektion der Steuerhinterziehung
Die Entrüstung gelte dem Überbringer einer unangenehmen Botschaft, auch und gerade wenn sie den Kern der Sache treffe, sagte er in Anspielung auf Thielemann. Bis zu den höchsten Stellen im Finanzdepartement seien die Probleme unter den Teppich gekehrt worden.
«In Tat und Wahrheit ging es um nichts anderes als die Protektion der Steuerhinterziehung als einen nicht leistungsbasierten Wettbewerbsvorteil», erklärt der Ökonom weiter.
Ulrich Thielemann hatte am 25. März in einer Anhörung vor dem Bundestags-Ausschuss in Berlin der Schweiz fehlendes Unrechtsbewusstsein im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis angekreidet und gesagt, die Schweiz reagiere nur auf äusseren Druck. Diese Aussagen wirbelten viel Staub auf.
Der frühere HSG-Professor und alt LdU-Nationalrat Franz Jaeger forderte Thielemanns Absetzung.
HSG-Rektor Ernst Mohr erteilte Thielemann eine öffentliche Schelte: In einem Zeitungsinterview warf er dem Wirtschaftsethiker einen «groben Fehler» vor und schloss eine Entlassung Thielemanns nicht aus.
Angepasster Nachfolger
Die Nachfolge von Peter Ulrich dürfte noch weiteren Staub aufwirbeln. In der „Südostschweiz“ räumte Ulrich die Möglichkeit ein, dass für ihn ein angepasster Nachfolger gesucht werde.
Das kürzlich publizierte Stellenprofil ist relativ weit gefasst: «Die Universität St. Gallen ist dabei offen für Bewerbungen aus allen derzeit existierenden Schulen der Wirtschaftsethik.»
Wie viel Wissenschaftsfreiheit die HSG verträgt, beschäftigt auch die Studentenschaft. Für heute Abend war eine Diskussionsveranstaltung angesagt – unter anderen mit dabei: Peter Ulrich.